Weltpremiere: Waagrechte Bäume und hängender Weinberg zum Reformationsjahr

High-Tech-Pflanzen für Reformationsjubiläum: Start-up der Uni Hohenheim gestaltet Wittenberger Halle der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

22.05.2017 - Deutschland

Bäume recken sich waagrecht in den Raum, ein Fahrrad scheint die Wand entlang zu fahren und ein Weinberg hängt wie ein Vorhang in der Luft: Was nach einer Szene aus Alice im Wunderland klingt, ist ab diesem Samstag in und an der Halle der Evangelischen Landeskirche in Württemberg bei der Weltausstellung Reformation zu sehen. Die spektakuläre Installation stammt von Dr. Alina Schick von der Universität Hohenheim in Stuttgart. Mit ihrem Start-up Visioverdis hat die Biologin eine ehemalige Schmiedehalle kreativ begrünt: Modernste computergesteuerte Technik lässt dort Bäume und Pflanzen waagrecht aus der Außenwand wachsen und versorgt Weinreben einer eigens gezüchteten Sorte vom Boden bis zur Hallendecke. Ab dem 20. Mai ist die Installation in der Kupferstraße in Lutherstadt Wittenberg zu sehen.

Der hängende Weinberg zum Reformationsjahr in Wittenberg. | Bildquelle: Visioverdis | weitere Pressefotos in Druckqualität

Visioverdis

Der hängende Weinberg zum Reformationsjahr in Wittenberg.


Bäume wachsen nach oben: Das ist ein der Schwerkraft geschuldetes Naturgesetz. Dr. Alina Schick hat es geschafft, dieses Gesetz außer Kraft zu setzen – mit einer verblüffend simplen Idee: Sie lässt Bäume und Pflanzen in eigens gebauten Pflanzkübeln waagrecht um die eigene Achse rotieren. Die Pflanzen verlieren dadurch die Orientierung nach oben und wachsen parallel zum Boden geradeaus.

„Den Pflanzen schadet das nicht“, versichert die Biologin: „Der erste Ligusterbaum, den wir in einen solchen rotierenden Kübel gesetzt haben, dreht sich nun schon seit drei Jahren und ist nach wie vor gesund.“

Tradition und Tüftlergeist aus Württemberg

Gemeinsam mit zwei weiteren Bäumen sowie verschiedenen Blumen- und Gräser-Arten ist der erste waagrechte Baum nun vom Gewächshaus an der Universität Hohenheim in Stuttgart in die Lutherstadt Wittenberg umgezogen. Entlang der Außenwand einer ehemaligen Schmiedehalle wächst dort nun auf 54 Quadratmetern senkrechter Fläche ein Park – inklusive Fahrradweg.

Sensoren in den Pflanzgefäßen messen beständig den Feuchtigkeitsgehalt der Erde und steuern die Wasserzufuhr entsprechend. Dr. Schick und ihr Team können von überall aus per Computer überwachen, ob es den Pflanzen gut geht.

Die Evangelische Landeskirche in Württemberg will mit ihrem Beitrag zur Weltausstellung Reformation zeigen, wie sich in Württemberg landwirtschaftliche Tradition und die Innovationsfreude der schwäbischen Tüftler begegnen. Man habe deshalb, so Jürgen Kaiser vom Evangelischen Medienhaus, bewusst nach einem Start-up gesucht, das etwas Neues wagt – und Visioverdis gefunden. 

Bibel trifft High-Tech im hängenden Weinberg

Das biblisch bedeutsame Bild des Weinbergs ist auch in Württemberg kein seltener Anblick. Im Inneren der Halle hat Dr. Schick deshalb einen Weinberg gestaltet und installiert. An einer Seilkonstruktion wachsen in 80 aufgeschnittenen Weinflaschen Reben einer eigens gezüchteten Sorte der Weinbauschule Weinsberg. Zwischen den Reben angebrachte LED-Lampen sorgen für stimmungsvolles Licht.

„Die neuen Weinpflanzen vereinen Erbanteile von Riesling und Sauvignon blanc. Zudem sind amerikanische und asiatische Wildreben eingekreuzt, weshalb die Pflanzen weitgehend resistent gegen Pilzkrankheiten sind“, erklärt Dr. Schick.

Hinter der Bühne angebracht bildet der Weinberg den Hintergrund für die Veranstaltungen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg während des Jubiläumsjahres. Bei besonderen Veranstaltungen führt Dr. Schick durch die Installation.

Nachhaltigkeit als sichtbares Thema

Mit der Installation will die Landeskirche in Württemberg auch thematisieren, wie es gelingen kann, die Schöpfung zu bewahren und zugleich an der Gestaltung der Zukunft zu arbeiten.

Denn: Entstanden ist Visioverdis als Antwort auf die Frage, wie in den stetig wachsenden Städten für saubere Luft gesorgt werden kann. „Feinstaub, Stickstoffoxide und Ozon belasten die Luft in deutschen Städten, obwohl es dort eigentlich ausreichend Grünflächen gibt“, so Dr. Schick. „Noch viel dramatischer ist die Lage weltweit in Mega-Cities mit mehr als 10 Millionen Einwohnern, wo Grünflächen Wolkenkratzern weichen müssen.“

Rund 68 Prozent der CO2-Emissionen, so die Biologin, entstünden in Städten – mit weitreichenden Auswirkungen auf das Weltklima. „Pflanzen können die Luftqualität verbessern und die Luft von Schadstoffen befreien. Es ist deshalb dringend nötig, neuen Raum für Pflanzen in den Städten zu schaffen. Hier setzt unsere Technologie zur Fassadenbegrünung an.“

Mit waagrecht wachsenden Pflanzen, so ist Dr. Schick überzeugt, lässt sich der Flächenkonkurrenz in den wachsenden Städten begegnen. „Das erlaubt noch weitere Nutzungen für die bislang nahezu ungenutzten vertikalen Flächen in Städten: zum Beispiel im Bereich Vertical Farming von Nahrungsmitteln.“

Hintergrund: Start-up Visioverdis an der Universität Hohenheim

Seit 2011 forscht Dr. Schick an den waagrecht wachsenden Pflanzen. 2015 kam die Zusage für eine Förderung im Rahmen des EXIST-Programms. Das Stipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie fördert Gründungen aus der Hochschule heraus. Beim PUSH! Campus Challenge der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart (WRS) gewann das Visioverdis-Team im November 2015 außerdem den ersten Platz für die beste Geschäftsidee. Auch im Folgejahr kam der Gewinner aus Hohenheim: Geco-Gardens bietet platzsparende vertikale Kleingärten für den ökologischen Eigenanbau.

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