Bierbrauen im Wohnzimmer: Neue Geschäfte mit uralten Rechten

Mittelalterlich gebrautes Zoiglbier entwickelt sich in der nördlichen Oberpfalz immer mehr zum Renner bei Einheimischen und Touristen.

29.09.2015 - Deutschland

Kühl und naturtrüb schäumt der "Zoigl" im Glaskrug. Für Bierliebhaber ist die mittelalterliche Spezialität  aus der nördlichen Oberpfalz eine neue Offenbarung: Immer mehr Einheimische und Touristen entdecken die gemütliche Wirtsstube im Wohnzimmer - ein Brauch, der um die Jahrhundertwende beinah ausgestorben war, in den letzten Jahren aber zum Renner bei den Urlaubsgästen und zum Renommee der ganzen Region zwischen Cham und Bayreuth, Neumarkt und Mitterteich geworden ist. Kenner der "Zoiglszene" schätzen, dass heute mindestens doppelt so viele Hektoliter des natürtrüben Gerstensafts gebraut werden als noch vor fünf Jahren. Bei genauen Zahlen aber halten sich die Hobby-Braumeister bedeckt - schließlich, so vermuten sie, liest das Finanzamt mit.

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Für eine Zoiglbrauerei ist auch im kleinsten Wirtshauskeller Platz. In der nördlichen Oberpfalz nutzen mittlerweile wieder 20 Wirte das verbriefte Recht, eigenes Bier zu brauen.

Wenn Sie in Eslarn oder Falkenberg, in Mitterteich, Neuhaus oder Windischeschenbach eine Art Davidsstern weithin sichtbar an einem Haus entdecken, können Sie sicher sein: Hier gibt"s Zoiglbier, deftige Brotzeiten und eine urgemütliche Atmosphäre. Was den fränkischen Winzern ihre "Buschenwirtschaft" zum Ausschank von Federweißem, ist den Oberpfälzern mit altverbrieftem Kommunbraurecht ihre Zoiglwirtschaft, in der sie hausgebrautes Bier ausschenken dürfen. Und der Stern, ursprünglich Zeiger oder inzwischen mundartlich Zoigl genannt, lässt wissen, wo der rare Trunk gerade zu haben ist.

Eigentlich ist der sechszackige Stern ein altes Handwerkssymbol, das die drei am Brauen beteiligten Elemente Feuer, Wasser und Luft - und zugleich die nach dem Reinheitsgebot üblichen Bierzutaten Wasser, Malz und Hopfen - symbolisiert. Schon im frühen Mittelalter wurde der Braustern vom Brauer, dessen Fass gerade leer war, an denjenigen weitergereicht, der sein Zoiglfass neu anstecken konnte. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Denn beim Zoiglbier geht es immer schön reihum.

Die Herstellung ist kein Geheimnis: In der offenen Sudpfanne über einem Holzfeuer wird die Maische - also das Gemisch aus Wasser und Gerstenmalz - gekocht, mit Hopfen versetzt und als Würze erhitzt. Der Sud lagert in großen Behältern im Keller, bis das Zoiglbier nach etwa zehn Tagen in Fässer abgefüllt wird, um noch mehrere Wochen auszureifen. Jeder Sud schmeckt etwas anders, denn jeder Brauer hat sein eigenes Rezept. Nur in einem sind sich die Genießer einig: "Zoigl sollte auf Rezept es geben - 100 Jahre würd" ich leben!", schrieb einer der Gäste seinem Wirt ins Stammbuch.

Einst waren es 84 Brauer im Gebiet der heutigen Oberpfalz zwischen Amberg und Neustadt an der Waldnaab, die das Recht besaßen, ihr Bier nicht nur selbst zu brauen, sondern auch in der eigenen Stube auszuschänken. Laut Erlass von 1804 dürfen bis heute nur die Besitzer jener Häuser Zoiglbier brauen und schänken, die auch damals schon das Recht besaßen. In den meisten Häusern ist dieses Recht in Vergessenheit geraten. Aber viele haben sich in einer Zeit der Großbrauereien wieder auf diese Kunst besonnen und machen von ihrem Recht Gebrauch - sehr zur Begeisterung der Gäste aus nah und fern.

So scheint es auch nur folgerichtig, dass Windischeschenbach sich heute als "Hauptstadt des Zoigl" sieht. Das Zoiglbier ist heute ein wichtiger Motor für den Fremdenverkehr in der Region: Mittlerweile haben 20 Wirte ihre verbrieften Braurechte wiederbelebt und locken heute die einheimischen und auswärtigen Gäste in Scharen. Aus Leipzig und aus Frankfurt, bis aus München und Berlin kommen die Besucher mit Reisebussen und Autos, um einmal vom Oberpfälzer Zoigl zu probieren.

Mittlerweile müssen sich allerdings die "echten" Zoiglwirte gegen geschäftstüchtige Konkurrenz behaupten, die - so eine Stellungnahme - "nichts mehr mit der ursprünglichen Idee des Zoiglbiers zu tun haben und von Brauereien zugekauftes Bier ausschenken. Sie verweisen darauf: Nur wo das Sternlogo des Zoigls vor der Türe hängt, gibt es auch das echte Zoigl im Ausschank.

Ein "Zoiglkalender" im Internet (rechts neben dem Artikel verlinkt)) informiert überdies Besucher tagesaktuell, welche Zoiglstube wann und wie lange geöffnet ist. Und manchem Urlauber, der wieder nach Hause muss, wird die Zeit bis zur Wiederkehr ganz schön lang: "Ach, wie sehn ich mich nach dir, heiß geliebtes Zoiglbier", reimte einer der Gäste als Trinkspruch.

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