Nahrungsmittelhersteller bilden verstärkt Allianzen, um Innovations- und Margendruck zu begegnen

AlixPartners-Studie zur Nahrungsmittelindustrie

11.07.2019 - Schweiz

In der Lebensmittelbranche zeichnen sich grundlegende Veränderungen in den Strategien der Unternehmen ab. Hintergrund ist, dass sich weltweit die grossen Unternehmen verstärktem Innovationsdruck und weiter sinkenden Margen ausgesetzt sehen. Um diesen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen, dürften Schweizer Lebensmittelhersteller künftig verstärkt strategische Allianzen mit Partnerunternehmen - mitunter auch direkten Wettbewerbern - schmieden, statt auf klassische Mergers & Acquisitions-Transaktionen (M&A) zu setzen. In den vergangenen Jahren kam es schon vereinzelt zu Partnerschaften von Schweizer Unternehmen mit anderen Nahrungsmittelherstellern, was nun weiter zunehmen dürfte. Das sind Ergebnisse einer Studie der globalen Unternehmensberatung AlixPartners.

AlixPartners

Beatrix Morath, Managing Director und Country Head Schweiz bei AlixPartners, sagt: "Vielen Nahrungsmittelproduzenten ist bewusst, dass sie eine Lösung von aussen benötigen, um die Herausforderungen zu bewältigen, vor denen sie stehen. Dabei können Übernahmen ein komplexes, teures Unterfangen mit einem gewissen Risiko des Scheiterns darstellen. Viele Unternehmen begreifen daher strategische Allianzen als sinnvolle Möglichkeit, um diesen Herausforderungen der Branche zu begegnen und die Risiken zu verringern. Einige Beispiele der vergangenen Jahre zeigen, dass diese Option in Europa verstärkt genutzt wird."

Mit einem Volumen von 1 Billion Euro ist der Lebensmittelsektor der grösste produzierende Wirtschaftszweig in der Europäischen Union. Auch in der Schweiz rangiert die Branche ganz vorne.

Innovationsdruck: Nachfrage nach Gesundheits- und Wellness-Lebensmitteln steigt, Foodtechs machen Konkurrenz

Die Nachfrage der Kunden im Lebensmittelsektor verändert sich tiefgreifend. Die jährlichen Einzelhandelsumsätze für Gesundheits- und Wellnesslebensmittel wachsen in Europa bis zum Jahr 2020 laut Euromonitor auf mehr als 147 Mrd. Euro. Viele Innovationen in diesem Segment werden durch sogenannte Foodtechs (Start-ups im Nahrungsmittelbereich) vorangetrieben, die schnell und zielgerichtet Trends aufnehmen können und daher eine Konkurrenz für die Etablierten darstellen. Die wachsende Bedeutung von Foodtechs zeigt sich auch in steigenden Finanzierungsvolumina: In den vergangenen vier Jahren wurden 4,2 Mrd. Euro in europäische Foodtechs investiert, was 16% der weltweiten Investments im gleichen Zeitraum ausmacht.

Generell hat die digitale Transformation einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Industrie: Neben den Foodtechs wälzen neue Apps, Online-Services oder Hersteller von Convenience-Produkten die Wertschöpfungskette um. Dabei erweist sich für etablierte Unternehmen der geringe Anteil an Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E) als Nachteil im Wettbewerb gerade mit den Start-ups: Nur gerade 0,2% des Umsatzes werden laut OECD durchschnittlich in der EU von Nahrungsmittelunternehmen in F&E investiert.

Ein weiteres Problem ist, dass die Margen der Nahrungsmittelproduzenten seit geraumer Zeit unter Druck stehen: Die Nachfrage der Verbraucher nach preiswerten Lebensmitteln nimmt zu und die Produktionskosten steigen. Zudem hemmen Zölle, Handelsbarrieren und andere Ereignisse von globaler Bedeutung wie der Brexit. Gleichzeitig verlangsamt sich das Wachstum in den westlichen Märkten. Dies wirkt sich auch auf den Detailhandel aus, der sich nicht zuletzt aufgrund steigender Konkurrenz des Onlinehandels im Umbruch befindet.

Allianzen bieten viele Vorteile gegenüber klassischen M&As

Die Studie zeigt, dass die Lebensmittelhersteller vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen über mehrere Handlungsoptionen verfügen, von denen sich laut der Experten von AlixPartners zwei aufgrund des aktuellen wirtschaftlichen Umfelds herauskristallisieren: Entweder übernehmen die Produzenten ganze Unternehmen, welche das eigene Portfolio ergänzen. Oder sie schmieden strategische Allianzen in den Bereichen Einkauf, Herstellung, Lieferung sowie Sales & Marketing.

Cornelia Bruehwiler, Konsumgüter- und Handelsexpertin bei AlixPartners in der Schweiz, sagt: "Allianzen haben neben geringeren Kosten und geringeren Risiken weitere Vorteile. So können sie Produktinnovationen beschleunigen - vor allem im direkten Vergleich zum Ausbau der eigenen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit. Eine schnellere Reaktion auf Markttrends ist damit möglich."

Ausserdem weist Bruehwiler darauf hin, dass Allianzen den Vorstoss in bisher nicht abgedeckte Märkte ermöglichen. Dabei könne eine Allianz als eine Art Testballon genutzt werden. Erweist sich ein Vorstoss in einen Nebenmarkt als erfolgreich, kann anschliessend eine Investition oder Akquisition ins Auge gefasst werden. Zudem ermöglichen Allianzen eine Erweiterung der eigenen Marke beziehungsweise deren Weiterentwicklung zu einer Dach-Marke.

Fallbeispiel: Barry Callebaut bildet Allianzen

Auch in der Schweiz kam es in den vergangenen vier Jahren zu strategischen Allianzen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Ein Beispiel ist der Schokoladenproduzent Barry Callebaut, der im Einkauf mit dem britischen Feingebäckhersteller Burton's Biscuit Company eine Partnerschaft geschlossen hat, die die jährliche Lieferung von mehr als 12.000 Tonnen Schokolade und Schokoladenmischungen beinhaltet. Im Rahmen der Vereinbarung übernimmt Barry Callebaut die Schokoladenproduktion von Burton und erweitert damit seine Kapazitäten in Grossbritannien. Barry Callebaut hat auch eine Partnerschaft mit Unilever über die Lieferung von Schokolade für Magnum-Eiscreme vereinbart, die es dem Unternehmen ermöglicht, langfristige Verträge mit Kakaobauern abzuschliessen. Dem ähnlich ist die Kooperation von Barry Callebaut mit dem niederländischen Schokoladenproduzenten Tony´s Chocolonely zur Lieferung von Kakaobohnen, die auf nachhaltige Weise von Kooperativen von der Elfenbeinküste produziert werden.

Beatrix Morath zieht mit Blick auf die Studienergebnisse folgendes Resümee: "Noch haben Allianzen im Nahrungsmittelsektor nicht den gleichen Stellenwert wie klassische Übernahmen. Wir sind jedoch überzeugt, künftig noch mehr dieser Partnerschaften bei Schweizer Lebensmittelunternehmen zu sehen. Die Vorteile sind offensichtlich - und gerade vor dem Hintergrund der sich eintrübenden Konjunktur dürften die produzierenden Unternehmen Risiken vermeiden wollen."

Die komplette Studie finden Sie rechts neben dem Artikel verlinkt.

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