Textilbranche experimentiert mit Algen & Lebensmittelresten
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"Die Baumwolle kann einfach nicht das Ende sein", meint Josephine Barbe. Die Wissenschaftlerin an der Technischen Universität Berlin erforscht nachhaltige Textilien und ließ ihre Studenten umweltverträgliche Alltagskleidung nähen. Den Algenstoff wählte Barbe, um Aufmerksamkeit auf alternative Fasern zu lenken. "Alle wollen Baumwolle tragen, aber die ist mittlerweile kaputt und vergiftet uns und die Welt", sagt sie.
Das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt die Modebranche seit Jahren, zugleich schießt der Konsum von Kleidung in die Höhe. Wirtschaftsforscher errechneten laut Greenpeace, dass deutsche Verbraucher ihre neugekauften Kleidungsstücke im Schnitt nur noch halb so lange tragen wie noch vor 15 Jahren. Die weltweite Produktion von Kleidung verdoppelte sich derweil. Immer mehr Stoff wird gebraucht. Doch die Umweltkosten von Polyester auf Erdölbasis und des wasserintensiven und pestizidreichen Baumwollanbaus sind enorm.
Wie Josephine Barbe, die sich des von einem thüringischen Unternehmen entwickelten Algenstoffs Seacell annahm, experimentieren Designer und Hersteller daher mittlerweile mit ungewöhnlicheren Rohstoffen für Garn und Zwirn. Brennnesseln, Milchreste, Bananenfasern, Krabbenschalen und Soja-Abfälle gehören zum Rohmaterial, aus denen Material hergestellt werden kann. Auch die Kompostierbarkeit am Lebensende der Kleidung rückt immer mehr in den Mittelpunkt nach dem Motto: Wenn schon Müll, dann wenigstens für die Biotonne.
Doch in den Läden bleibt das Thema bislang eine Fußnote. Kompostierbare Schuhe und Brennnesselgarn seien zwar innovative Produkte, sagt der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes textil+mode, Uwe Mazura. "Diese Entwicklungen stehen jedoch erst am Anfang und sind noch nicht für den Massenmarkt ausgereift."
Von einer sehr geringen Größenordnung spricht auch die Textil-Expertin Alexandra Perschau von Greenpeace. Reine Bio-Baumwolle mache nur ein Prozent der weltweit produzierten Baumwolle aus. Algen und Milch seien gute Ideen, eine Lösung der Probleme des Textilkonsums sieht sie in ihnen jedoch nicht. 25 Millionen Tonnen im Jahr liefere allein die Baumwollproduktion, die nur ein Drittel des Faserbedarfs abdeckte. "Wo sollen die ganzen Algen herkommen? Wie viele Kühe wollen wir uns hinstellen?", fragt sie.
Die Kompostierbarkeit hält sie zwar für den richtigen Gedanken, schlimmstenfalls aber für eine psychologische Falle. "Vorgeschaltet muss ein langsamerer Konsum sein", sagt Perschau. "All diese Alternativen werden niemals das Potenzial haben, um das in diesem großen Stil, wie wir konsumieren, jemals abdecken zu können."
Josephine Barbe sieht den Algenstoff nicht als Allheilmittel, aber als lokale Lösung. Auch mit Studenten auf Kuba fertigte sie daraus Kleidung, nun will sie die Produktion auf der Karibikinsel erforschen. Auf früheren Baumwollplantagen wachsen heute Tabak und Zuckerrohr, Stoffe sind teure Importware. Braunalgen dagegen treiben teppichweise auf dem Karibischen Meer und überschwemmen die Strände.
In Berlin setzt sie derweil auf nachhaltige Inspiration: Die Studenten, die sie unterrichtet, sind angehende Lehrer. Diese vermittelten später auch ihren künftigen Schülern, dass T-Shirts nicht aus Baumwolle sein müssen, hofft Barbe: "Wir müssen umdenken, und wenn wir mit dem Material umdenken, ist das eine tolle Sache."/cpe/DP/stb (dpa)
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