Produktrückrufe – 10 Ratschläge für eine gelungene Kommunikation

29.08.2016 - Deutschland

Sybille Geitel hat als Krisenberaterin in der Lebensmittelindustrie an die 100 Produktrückrufe direkt und indirekt begleitet, oftmals als Mitglied des Krisenstabs vor Ort beim Unternehmen. Ihre Erfahrungen fasst Sie in 10 Ratschlägen zusammen:


1.    Wer ist hier der Boss?
Oftmals ist der Inhaber bzw. Geschäftsführer zugleich der operative Leiter des Krisenstabes (was zumeist nicht optimal ist, aber das soll an dieser Stelle nicht thematisiert werden). Bevor es überhaupt zum Ernstfall kommt, klären Sie, über welche Entscheidungshoheit die einzelnen Krisenstabsmitglieder in ihren Bereichen verfügen. Wer entscheidet über die Formulierung im Schreiben an den Handelskunden – der Key Accounter oder Unternehmens-Chef?  

2.    Vermeiden Sie Hahnenkämpfe
Der Produkt-Manager ist dem Werksleiter in herzlicher Abneigung verbunden? Herzlichen Glückwunsch, dann ist das die beste Voraussetzung, dass die beiden ihren Twist genüsslich im Krisenstab austragen. Sorgen Sie im akuten Fall für einen arbeitsfähigen Krisenstab, der ohne emotionale Schuldzuweisung die anstehenden Entscheidungen diskutiert.

3.    Keine Wasserstandsmeldungen
Kontrollieren Sie Ihren Informationsfluss: Bis es zum öffentlichen Rückruf kommt, vergehen zumeist mehre Tage, in denen die Situation diffus ist, welche Chargen, Sorten, Produkte denn nun betroffen sind. So weiß die Behörde von fünf Chargen, der eine Handelspartner ist zunächst über drei, der andere über vier informiert, zurückgerufen werden letztendlich sechs. Den Überblick, ‚wer weiß eigentlich was?‘, hat aufgrund der vielen Wasserstandsmeldungen und Absender niemand mehr.  

4.    Sie sind verantwortlich, nicht die Behörde
Der respektvolle, offene Umgang mit der Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsbehörde versteht sich von selbst, das bedeutet jedoch nicht blinden Gehorsam. Wenn Ihnen eine Anweisung suspekt vorkommt („Machen Sie einen öffentlichen Rückruf – aber machen Sie ihn leise“), hinterfragen Sie diese. Die Konsequenzen Ihres Handelns tragen Sie, nicht (oder schon gar nicht) die Behörde.

5.    Halten Sie Ihren Verteiler parat
Wissen Sie, wie viele und welche Medien Sie bei einem Rückruf informieren sollten? Und an wen Sie sich freitags um 23.00 Uhr bei der dpa wenden müssen?

6.    Denken Sie an Ihre Mitarbeiter
Die Angst vor der öffentlichen Reaktion kann solchen Raum einnehmen, dass die engste Zielgruppe - Mitarbeiter, Partner, Mitglieder interner Gremien etc. – ins Hintertreffen geraten. Diese sollten nicht aus der Zeitung erfahren, was in Ihrem Unternehmen grade los ist.

7.    Und was ist mit der Website?
Auf die interne Information und die Pressemitteilung folgen die Social Media-Kanäle; irgendjemand aus dem Marketing ist immer erreichbar, der einen Post absetzen kann. Aber wer ist technisch in der Lage, sonntags früh ad hoc einen Störer auf die Homepage zu stellen?

8.    Monitoren, monitoren, monitoren
Die ersten 12 Stunden sind die kritischsten: Haben die Medien Ihren Rückruf exakt wiedergegeben? Nur die Bedienware ist betroffen, keine abgepackte Ware? Nur die Kartonverpackung wird zurückgerufen, nicht die PET-Flasche? Redakteure schreiben gern (falsch) aus dem Netz ab. Das müssen Sie als erster erfahren und sofort auf Korrektur drängen, bevor eine Falschmeldung weitere Kreise zieht.

9.    Think big!
Die Behörde fordert einen bundesweiten öffentlichen Rückruf, Sie haben eine entsprechende Meldung an die Medien verschickt, aber im Netz und in den Medien findet man kaum etwas dazu? Nicht Freude, sondern Alarmbereitschaft ist angesagt: Wenn nämlich die Behörde Ihren Rückruf als „zu still“ empfindet, wird sie selbst entsprechend aktiv. Oder das Veterinäramt in einem anderen Bundesland informiert auf eigene Faust, wenn Ihr Rückruf nur regionale Beachtung gefunden hat.

10.    Unterschätzen Sie die Verbraucher nicht
Trotz aller Sorgfalt und Formulierungskünste im Rückrufschreiben: Die Maßnahme wird bei Ihren Kunden für Fragen sorgen, die nach schnellen Antworten rufen. Diesem Bedürfnis müssen Sie Rechnung tragen, egal ob zehn oder hundert mailen oder anrufen, auch zu später Stunde am Abend oder am Wochenende. Bitte googeln Sie nicht erst dann nach „Einsatz Callcenter sofort“.
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